Abschlag an Loch 19
ein Thriller mit Stacheln
Tritt nie den falschen Leuten auf die Füße!
So hatte sich Thorsten das Date mit Melanie nicht vorgestellt. Erst schlittert er mitten in eine irrwitzige Schnitzeljagd, während der ihm Golfbälle um die Ohren fliegen und er seine Angebetete aus den Fängen eines Wikingers befreien muss, bevor beide in getunten Rollstühlen entkommen. Dann wird er auch noch von der Polizei und einem Geheimbund gejagt. Skrupellose Männer und geheimnisvolle Frauen setzen dem Schreibtischhelden auf seiner Odyssee durch ein Labyrinth aus Intrigen, Familienfehden und den Abgründen der menschlichen Seele zu.Thorsten muss all seine Erfahrung, die ihm der jahrzehntelange Konsum von Krimis und Agentenfilmen beschert hat, in den Ring werfen, denn für seine Häscher geht es um nichts Geringeres als das ewige Leben. Je verzweifelter er versucht, sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf aus Macht, Gier, Eifersucht, Ehrgeiz und Verschwörung, zu ziehen, um so tiefer sinkt er hinab. Wer ist der ruchlose Schurke, der Thorsten zum Golf herausfordert - zu einem Spiel, von dem er keinen blassen Schimmer hat?
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Abschlag an Loch 19, Leseprobe
"Ich öffne die Augen und wache doch nicht auf aus diesem fürchterlichen Alptraum. Wer hätte gedacht, dass sie bis zum Äußersten gehen würden ... Wo ich ihnen mein Leben geopfert habe: als Frau, als Mutter, als Freundin?"
"Dann setz dich doch in dein Auto und fahr fort! Schau nach vorn, lass alle Enttäuschungen einfach hinter dir und fang woanders ganz neu an!"
"Abhauen und nach vorn schauen? Etwas Besseres fällt dir nicht ein? Über die Schulter müsste ich blicken, immerzu. Oder glaubst du, sie würden mich so einfach ziehen lassen, bei alldem, was ich über sie weiß? Nein, mein Leben ist verbrannt. Nur im Tod könnte ich Frieden finden."
"Dann zieh einen Schlussstrich und bring dich um!"
"Den Gefallen will ich ihnen nicht tun. Steht mir denn nicht auch ein bisschen Glück zu? Soll ich sterben, wie ich gelebt habe – als Opferlamm?"
"Das ist wohl dein Schicksal."
"Ihn müssten sie bestrafen und nicht mich! Mit ihm hat schließlich alles Unheil seinen Lauf genommen."
"Die Täter werden geschützt, so ist das nun einmal. Was geschehen ist, kann nicht wieder rückgängig gemacht werden. Warum sollte man ihn wegen einer Entgleisung seiner jugendlichen Triebe richten – nach so vielen Jahren?"
"Entgleisung nennst du das, was er mir angetan hat? Und für diese kleine Unbeherrschtheit soll ich an seiner Stelle auf dem Scheiterhaufen brennen? Verstehe ich dich da recht?"
"Du bist freundlich zu ihm gewesen, hast ihn angelächelt, ihm ein Trinkgeld gegeben."
"Hast du noch nie Trinkgeld gegeben?"
"Nicht in einem Geräteschuppen."
"Ich habe eine Bürste gesucht, um meinen Golfsack zu säubern."
"Du hast die Tür hinter euch geschlossen."
"Sie ist von allein ins Schloss gefallen."
"Um Hilfe gerufen hast du aber nicht."
"Hättest du auch nicht, mit seinen Daumen fest gegen deinen Kehlkopf gepresst."
"Er war gerade mal sechzehn Jahre alt."
"Du weißt ja nicht, wie stark ein junger Bursche sein kann. Es war schrecklich, einfach widerlich, diesem wilden Tier hilflos ausgeliefert zu sein. Als es vorbei war, wollte ich nur noch unter die Dusche und ihn mir aus dem Schoß waschen."
"Da warst du wohl nicht gründlich genug."
"Heute gibt es bessere Möglichkeiten."
"Du hättest es wegmachen lassen können."
"Es konnte am wenigsten dafür. Und außerdem hatte sich Rüdiger so innigst ein Kind gewünscht. Es war ein Geschenk des Himmels, überreicht von einem Teufel."
"Meinst du, Josef war glücklich über das Geschenk, das Maria mit himmlischem Beistand empfangen hatte?"
"Es steht zumindest nichts darüber geschrieben, dass er ihr Vorwürfe gemacht oder sie gar wie ein Flittchen behandelt hätte."
"Glaubst du an den Himmel?"
"Ich kenne nur die Hölle."
"Verbrannt siehst du aber nicht aus."
"Dort lodert kein ewiges Feuer. Die Hölle, das sind die anderen."
"Und für wen warst du die Andere?"
Die Sonne strahlte warm vom wolkenlosen Himmel herab. Eine sanfte Brise wehte den Duft des frisch gemähten Grases vom Feld neben der Pferdekoppel herüber und die Forellen in dem kühlen Bach, der sich durch den Park schlängelte, schnappten gierig nach den Fliegen, die auf seiner kräuselnden Gischt tanzten.
Sie stellte ihre Sporttasche quer in den engen Kofferraum. Eigentlich könnte sie auch zu Haus trainieren. Sie hatte sich oben im Ostflügel einen hellen Fitnessraum mit Blick auf die gelben Rapsäcker einrichten lassen. Doch sie musste unbedingt gesehen werden. Schon in den vergangenen Wochen hatte sie sich überall gezeigt, bei bester Gesundheit, frohgelaunt, das blühende Leben und der Zukunft zugewandt: im Theater, beim Shoppen, beim Golf, beim Plausch mit Bekannten. Sollte ihr etwas zustoßen, durfte nicht der geringste Zweifel an ihrer Lebensfreude aufkommen.
Lautlos senkte sich der Kofferraumdeckel und das Schloss rastete leise klackend ein. Nicht die Technik verlangte dieses metallische Geräusch, sondern das Sicherheitsbedürfnis des Fahrers, denn ohne akustische Rückmeldung würde er den Schließmechanismus mit den Händen überprüfen und dabei die glänzende Versiegelung der Karosserie beflecken.
So aber richtete sie mit den Spitzen ihrer roten Nägel lächelnd die blonden Haare im Widerschein des unbefleckten Lacks, der ebenso makellos poliert war wie sie ohnehin schon frisiert war. Die vereinzelten grauen Härchen hatte sie erst gestern dezent übertönen lassen, so dass nicht einmal sie ihr Alter andeuten würden.
Sie öffnete die Fahrertür, beugte ihre Knie bis zur Hocke und ließ sich seitlich auf dem tiefen Sportsitz nieder. Sie schlängelte die schlanken Beine unter dem Lenkrad hinweg auf die silbernen Aluminium-Pedale im Hades ihres Achtzylinders, wobei die flachen Hände auf den Oberschenkeln zufällige Aussichten eines nicht anwesenden Beobachters unter ihren knielangen Rock, den sie heute ausnahmsweise nicht trug, verhinderten. Sie ließ den Motor aufheulen.
Herr Hubert hatte aufgetankt, bevor er das Auto nach der Inspektion zurück in die Garage gestellt hatte. Als rechte Hand ihres Gatten musste er sich nicht darum kümmern, doch er liebte den Wagen genau so innig wie sie selbst – wohl die einzige Gemeinsamkeit, die sie noch teilten. Er hatte sie beim Kauf beraten: limitierte Auflage, eine sichere Wertanlage, pries der Verkäufer.
"Wenn man die denn brauchte", hatte sie nur gedacht.
Sie hatte Herrn Hubert immer gemocht, sich für ihn starkgemacht, als ihr Rüdiger ihn eingestellt hatte, ihn unterstützt, bis er schließlich zum Privatsekretär ihres Mannes aufgestiegen war. Dann hatte sie der scheinheilige Intrigant aus der Firma gedrängt und selbst die Geschäftsführung übernommen. Doch sie war darauf vorbereitet gewesen. Sie wusste noch immer, wie die Geldströme flossen. Sie hatte Dossiers darüber angelegt, wer welche Summen bekam. Selbst an die sensiblen Daten im gesicherten Firmennetzwerk gelangte sie durch eine Hintertür. Manchmal kam man weiter, wenn man sich dummstellte.
Zärtlich strich sie über das lederne Lenkrad und liebkoste den griffigen Schaltknauf. Die breiten Reifen verdichteten den Kies unter ihrer Lauffläche, als sie mit Standgas die Auffahrt hinabrollte. Das Verdeck versank surrend im Schacht hinter ihrem Sitz. Die ersten Meter der Landstraße, in die sie unten einbog, waren schwarz vom Gummiabrieb, den sie bereits in den Asphalt radiert hatte. Sie liebte ihr Auto und hegte wenig Sympathie für Geschwindigkeitsbegrenzungen, doch heute zügelte sie das Drehmoment, das willig an der Antriebswelle lauerte.
Sie war früh dran gewesen und hatte jede Stunde ausgekostet. Sie hatte nach den Fohlen gesehen und war schon vor dem Frühstück ausgeritten. In der Vorlesung über mittelalterliche Freskenmalerei am Vormittag, an der sie als Gasthörerin teilnehmen durfte, wurden gotische Wandbilder in den Kirchen und Klöstern des Alpenvorlands referiert.
"Wusstest du, dass die Malereien häufig nicht nur einen Moment im Leben eines Heiligen darstellen, sondern sein ganzes Wirken in einem einzigen Bild erzählen? Welche Szenen aus meinem Leben würde ein frommer Maler wohl für meine Geschichte auswählen?"
"Wie du die wurmstichigen Äpfel schälst, die dir der Bauer vom Marktstand geschenkt hat ... Wie du in deinen zerrissenen Strumpfhosen auf dem rostigen Fahrrad durch die Gassen strampelst … Wie du dein Anwaltsdiplom entgegennimmst, mit dem schicken Akademikerhut auf dem Kopf ... Wie du dir die Platzreife erarbeitest, im Clubrestaurant, auf der Toilette, auf den Knien, vor deinem Golflehrer ... Wie du deinen Rüdiger verzauberst, am achtzehnten Loch, das du ihm beim Gleichstand geschenkt hast ..."
"Fallen dir denn keine bedeutsameren Augenblicke ein?"
"Ich finde, du solltest dir nichts vormachen. Der Papst wird dich bestimmt nicht heiligsprechen."
Dieses verschrumpelte alte Weib nörgelte ständig an ihr herum. Doch sie war die Einzige, der sie noch vertrauen konnte – ganz gleich, wie sehr sie ansonsten auch nervte.
Sie würde sie vor dem Training am Marktplatz absetzen. Dort konnte sie an einem Eisbecher sabbern, während sie sich auf dem Laufband schindete.
Trotz des Fußballfiebers allerorts war erstaunlich viel los im Fitness-Studio. Auch Jennifer hatte sich, wie jeden Freitag Nachmittag, in die jubelfreie Oase geflüchtet. Ihre junge Haut war braungebrannt und in ihrem Bauchnabel glitzerte ein Edelstein.
Sie liefen nebeneinander und schauten von den Bändern aus über den Parkplatz hinweg zu den Bergen in der Ferne.
"Ist das dein Sportwagen dort unten?", fragte Jennifer.
Sie nickte.
"Wie viel PS hat er denn?"
Sie zuckte bescheiden mit den Schultern.
"Ich stelle es mir unheimlich geil vor, wenn man mit der Karre richtig Gas gibt und dir die Kraft des Motors bis in den Unterleib vibriert", löcherte Jennifer sie mit einem anzüglichen Grinsen.
Die Walzen zogen unbarmherzig surrend Meter um Meter Laufstrecke unter ihren Sohlen hinweg. Sie tupfte sich mit dem Handtuch die Schweißperlen von der Stirn. Von der Seite her penetrierte schon seit geraumer Zeit eine rockige, verdammt emanzipierte, florale Duftexplosion ihre Nasenlöcher.
"Ich wäre auch gern eine so elegante Frau wie du", nahm Jennifer die Unterhaltung wieder auf.
"Als ich dich das erste Mal gesehen habe, hast du dir Klamotten gekauft. Ich habe dich von draußen beobachtet, wie du in der Boutique ein schlichtes, langweiliges Kostüm anprobiert hast. Zunächst war ich enttäuscht, dass du es tatsächlich genommen hast, ..."
Sie erinnerte sich an den Nachmittag. Sie brauchte den faden Fetzen fürs Theater. Am Abend wurde Brechts Proletariats-Drama Die Heilige Johanna der Schlachthöfe aufgeführt. Sie hatte es, dem Anlass entsprechend, einem glänzenden Abendkleid vorgezogen. Ihren Zynismus trug sie lieber im Herzen statt auf dem Hintern. Die Kleine hatte so getan, als ob sie die Auslage begutachten würde.
Ein paar Tage später, sie war mit Sybylle zum Brunch verabredet gewesen, hatte Jennifer im Vorbeigehen gegrüßt, als ob sich die beiden kennen würden. Und neulich erst hatte sie sich auf dem Marktplatz mit Herrn Huberts Tochter und einer anderen Frau unterhalten. Ja, ihre Wege hatten sich in jüngster Vergangenheit häufiger gekreuzt, als es statistisch erwartbar gewesen wäre.
"... doch dann wurde mir klar, dass man sich nach dir umdreht, ganz gleich, ob du wie eine Diva oder wie eine Vorstandssekretärin rumläufst. Ich hingegen muss meine Haut zu Markte tragen, wenn ich auf mich aufmerksam machen will", schmeichelte ihr Jennifer.
Beim Ausziehen in der Umkleide präsentierte sie stolz ihr erstes Tattoo. Ein Sternenschweif schwang in sanftem Bogen von der Hüfte aus sich nach unten hin verjüngend und lief in immer kleineren Sternchen auf ihrem Schambein aus.
"Was bedeutet diese Tätowierung?", fragte sie höflich interessiert.
"Nun, die Sterne sind Abenteurern und Reisenden schon seit Jahrtausenden zuverlässige Wegweiser gewesen", erklärte Jennifer augenzwinkernd.
"Wer einmal dort unten angekommen ist und immer noch nautische Unterstützung benötigt, den kann man getrost zum nächsten Hafen schippern lassen", meinte sie milde lächelnd.
"Selbst Matrosen, die wissen, wie man Segel setzt, merken häufig nicht, dass die Flaute vorüber ist – und denen muss man in den Nacken blasen ...", wandte Jennifer ein.
"... sonst ende ich noch wie meine beste Freundin."
"Was ist mir ihr?"
"Sie hat alles, was einem Mann gefällt, doch der, dem sie gefallen will, begreift einfach nicht, wie sehr sie ihm gefällt."
Als sich Jennifer nach dem Duschen die Schuhe band, krallte sich die Spitze ihres Höschenbundes tapfer an den Beckenknochen, während die pinken Shorts unaufhaltsam in Richtung Steiß strebten und das vulgäre Detail entblößten.
Die Bäume entlang der Allee warfen kühle Schatten auf das glänzend orange Cabrio. Die hellblond gefärbte Mähne wirbelte wild im Fahrtwind. Sie reckte die sonnengebräunten Arme weit in den Himmel und die warme Brise streichelte die nackte Haut unter ihrem luftigen Shirt. Heute Abend würden alle nur Augen für sie haben. Ihre Hände griffen gierig nach dem vollen, runden, steifen Leder des Steuerrades. Ihre nackten Schenkel vibrierten wohlig, als sie den Fuß auf dem Gaspedal senkte. Das Fahrwerk krallte sich kompromisslos an den Asphalt.
Ein anderes Auto schlingerte ihr in der Kurve entgegen. Sie reagierte routiniert, doch die Lenkung wollte nicht gehorchen. Der Wagen raste wie auf Schienen geradeaus über den Straßenrand hinaus. Das dumpfe Krachen scheuchte die Vögel vom Acker auf.
Die Airbags rundherum waren schon wieder erschlafft. Ihre Beine waren unter dem Lenkrad eingeklemmt, doch sie konnte ihre Zehen bewegen. Hastig griff sie nach dem Gurtschloss, aber es ließ sich nicht öffnen. Feuer schlug aus der Karosserie. Zappelnd wand sie sich in den Gurtbändern.
Der Fahrer des anderen Autos rannte auf sie zu. Flehend streckte sie ihre Arme nach ihm aus. Er war noch so weit weg, inmitten dicken, qualmenden Rauchs. Dann ein lauter Knall. Noch bevor der Fremde den Feuerlöscher auf den Brandherd richten konnte, schlug ein infernalisches Flammenmeer, in dem der Blechklumpen bald verglühen würde, bis über die Baumkrone hinaus. Nein, er würde sie nicht mehr retten können, doch sein Gesicht beschwor Bilder einer fernen Vergangenheit herauf.
Wir alle müssen einmal sterben, aber niemand möchte es kommen sehen. Der Tod macht dir ein Geschenk, wenn er ohne Anklopfen mit der Tür ins Haus fällt. Nicht jeder wird so großzügig beschenkt, doch jetzt war es so weit. Sie musste diesen Ort verlassen. Ihr letzter Gedanke drehte sich um ein Golfspiel, das sie abseits des Parcours gespielt hatte.