Salz in ihren Tränen

Wer Schätze sucht, muss buddeln

Zwei Brüder auf der Jagd nach einem Schatz, doch die Vergangenheit holt sie ein.
mystische Frau liegt auf dem Waldboden
Gioele Fazzeri auf Pixabay

Die Vergangenheit im Nacken

Sein ganzes Leben hat Helmut gespart und sich selbst nichts gegönnt und dann kam Herta. Nach seinem Tod schöpft sie aus dem Vollen, bis es sie selbst dahinrafft. Doch sie kann in der kurzen Zeit unmöglich alles ausgegeben haben. Helmuts Neffen machen sich auf die Jagd nach dem Schatz und stören dabei Hertas letzte Ruhe. Das hätten sie besser nicht getan.
Lesezeit: 8 Minuten

Mystery-Geschichte: Salz in ihren Tränen

Ronald knipste das Licht an. „Scheiße, was ist das?“ Er stolperte zurück und stieß gegen seinen Bruder Kevin. Blassgraue Pupillen hinter einer weißen Totenmaske mit schwarz umrandeten Augenlöchern starrten ihn von der Wand des Flures aus an.
„Wie krank ist das denn?“
„Los! Mach schon!“ Kevin schubste ihn vorwärts.
Im Wohnzimmer zogen sie die Rollläden hoch.
„What the fuck!“
Wenn der Teufel mal eine Ferienwohnung suchen sollte, fand er sie hier. Gerade noch rechtzeitig zuckte Ronald den Fuß zur Seite und setzte ihn behutsam außerhalb des Pentagramms ab, das mit blutroter Farbe auf den Boden gezeichnet war. Auf dem Regal drängelten sich Weckgläser, darin eingelegt Schlangen, Salamander, Kröten und Organe, von denen er hoffte, dass sie tierischen Ursprungs waren. Dazwischen grob zusammengenähte Stoffpuppen mit Knöpfen als Augen. An den Wänden hingen ausgefleischte Schädel von Hunden und Katzen.
„Krass! Glaubst du, sie hat Onkel Helmut verhext?“
„Mir war diese Herta von Anfang an nicht geheuer.“
„Hier, die karierte Puppe! Ist das nicht der Stoff von seinem Anzug?“
„Wo ist sie zuletzt gewesen? Auf Haiti?“
„Und vorher in Benin. Mach hin! Ich will so schnell wie möglich hier raus.“
Ronald wühlte sich durch die Schubladen der Anrichte. Lebensversicherung, vorzeitig gekündigt, Sparbücher, leergeräumt, Girokonto gerade mal mit dreitausend Euro bestückt, von denen noch Hertas Überführung bezahlt werden musste.
„Nichts! Jede Menge Bücher über Okkultismus und Voodoo, das war’s!“ Kevin steckte bis zur Hüfte im untersten Fach des Wohnzimmerschranks. „Wenn uns der Bestatter keinen guten Preis macht, legen wir noch drauf. Warum ist die blöde Kuh nicht einfach über Bord gegangen? Dann hätten die Haie sie entsorgt.“
Ronald wollte die Schublade schon zuschieben, da fand er das Zertifikat eines Juweliers und pfiff leise durch die Zähne. Eine halbe Million Euro! Er linste zu seinem Bruder rüber, der aus dem Schrank kroch und den Rücken streckte.
„Was gefunden?“
„Hier ist auch nichts“, log Ronald. „Tausend Mäuse für die Möbel und den anderen Kram, mehr ist nicht zu holen.“
„Diese Erbschleicherin! Zockt den Onkel ab, macht sich aus dem Staub und haut alles auf den Kopf. Muss man mit siebzig noch auf Weltreise gehen?“
„Alles vom Feinsten. Business-Class im Flugzeug, Komfort-Suite auf dem Schiff, 5-Sterne Ressort im Tauchparadies. Das Luder hat nichts ausgelassen.“
„Trotzdem kann sie nicht alles ausgegeben haben“, schüttelte Kevin den Kopf. „Helmut hat sein ganzes Leben lang gearbeitet und sich nichts gegönnt.“
„Ja, und dann kam Herta. Sag mal, die Ohrringe, die sie immer getragen hat …“
„Dieser lächerliche Kristallschmuck im Maya-Design?“
„Genau. Weiß du, wo die sind?“
„Keine Ahnung.“ Kevin zog die Augenbraue hoch. „Die haben sie ihr wohl als Grabbeigabe mit auf den Weg gegeben. Vielleicht sind die ja auch verhext.“
„Hast du dir Herta vor der Beerdigung noch mal angesehen?“
„Wozu das?“ Kevin senkte das Kinn und schaute ihn schief an. „Die Alte war lebendig schon hässlich genug.“

Ronald wartete bis Mitternacht, dann kletterte er über die Mauer. Auf einem Friedhof ruhten nicht nur ehrbare Leute, sondern auch hundsgemeine Mörder, Steuerhinterzieher und sadistische Väter, die ihre Frauen und Kinder bis aufs Blut geprügelt hatten. Was, wenn die sich nachts aus ihren Gräbern buddelten? Das Grauen dieses unheiligen Ortes kroch ihm unter die Haut. Die Dunkelheit verwandelte die Äste einer knorrigen Eiche in Fangarme und eine weiße Calla, liebevoll bei Tag eingepflanzt, entpuppte sich vielleicht als bleiche Hand … „Verflucht!“ So wie die da hinten, die sich aus Hertas Grab zurück ins Reich der Lebenden reckte. Ronald sprang hinter eine Linde und hielt den Atem an. Kratzen, Schaben, Erde flog hoch und landete auf einem Haufen. Er schlich sich heran und duckte sich hinter einen Grabstein. Unten im Grab Ächzen und Stöhnen. Quiek, quiek, die Sargschrauben quietschten, als sie herausgedreht wurden. Holz wurde gerückt.
„Mann, ist das schwer! Au, Scheiße!“ Ein Lichtschein aus dem Loch verschwamm mit der Schwärze der Nacht. Unflätige Flüche, dann krallten sich zwei Hände in der Erde fest, ein Ellbogen wurde aufgestützt, jetzt ein Bein und zum Schluss stemmte sich der Rest des Körpers aus dem Grab.
„Verdammt! Hast du mich erschreckt!“, fluchte Kevin.
„Und? Wo sind die Ohrringe?“
„War doch klar, dass die Dinger wertvoll sind, als du danach gefragt hast. Wolltest mich wohl ausbooten?“ Kevin nickte zur Schaufel, die Ronald mitgebracht hatte. „Sie sind nicht da. Die Schinderei war umsonst.“ Er klopfte sich den Lehm von der Kleidung. „Was machen wir jetzt?“
„Das Loch wieder zuschütten.“
Kevin leuchtete in den Sarg. „Sieh dir das Luder doch mal an! Richtig unheimlich. Als würde sie uns auslachen. Sie riecht nicht einmal.“ Er bückte sich nach der Schaufel.
„Vielleicht hat der Bestatter sie mumifiziert.“
„Drecksstück!“ Kevin spuckte ins Grab und schippte die Erde hinterher.

veröffentlicht: 06.02. 2025, überarbeitet: 19.02. 2025
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