Burg Rodenstein und die Sage vom Geisterheer

eine Gruselgeschichte aus dem Odenwald

Eine gruselige Geschichte aus dem Odenwald über den sagenhaften Ritter von Rodenstein und sein Heer der Untoten, das nachts durch die Lüfte scheppert.
Ritter bei Vollmond vor einer Burgruine
Bild von Jim Cooper auf Pixabay

Der Ritter und sein Fluch

Ein junger Offizier reitet nach Reichelsheim, weil er den Erzählungen über einen verfluchten Ritter nachgehen soll. Ein einäugiger Soldat führt ihn um Mitternacht hinaus zu der verwunschenen Burg Rodenstein, denn heute steigt der Rodensteiner aus der Erde und erhebt sich mit seinem Heer der Untoten in den Himmel, von wo sie das Grauen über den Odenwald bringen. Und nur die Furchtlosen wandeln auf seinen Spuren
Lesezeit: 23 Minuten

Kurzgeschichte: Burg Rodenstein und die Sage vom Geisterheer

Der Fremde schlug mit dem Hut den Schnee vom Mantel und streifte den Schlamm an der ausgetretenen Stufe von den Sohlen. Drinnen, hinter beschlagenen Fenstern, die ins braune Fachwerk eingelassen waren, stießen die Männer mit den Krügen an und lachten. Der Fremde drückte die Holztür auf und trat in die Wirtsstube. Die Köpfe fuhren herum und die lebhaften Erzählungen verliefen sich in einem raunenden Flüstern.
Die Bauern musterten ihn argwöhnisch aus kleinen Augen unter buschigen Brauen hinweg. Die Haare wild, die Gesichter mit ledriger, von Sonne und Wetter gegerbter Haut überzogen, die Humpen mit rissigen Händen umklammert, nagelten ihn ihre Blicke auf der Schwelle fest. An den Haken neben der Tür dünsteten knielange Filzmäntel den Nebel eines frostigen Abends im Spätherbst in den niedrigen Raum. Es roch nach nassem Laub auf schwerer Erde, nach dem Schweiß, vergossen beim Pflügen und Holz schlagen, und nach dem brennenden Tran in den Öllampen, deren schummrige Licht geisterhafte Umrisse an die Wände warf. Doch unter den Geruch der Schinderei, kaum dass die Nase ihn wittern konnte, mischte sich der heimelige Duft frisch gebackenen Brotes, herb-süßen Apfelweins und malzigen Bieres, das in den tönernen Krügen ausgeschenkt wurde.

Etwas abseits hockte ein Mann mit langem Rauschebart allein an einem Tisch und schmauchte eine Pfeife. Der Fremde schritt auf ihn zu. Die abgewetzten, verkratzten Dielen unter seinen Lederstiefeln knarzten. Ein kurzer Blick zu dem freien Stuhl, nicht mehr als das Zucken seines Augapfels. Der mit dem Bart nickte stumm und sog an seiner Pfeife. Der Fremde legte den Mantel ab, bestellte Kochkäse und setzte sich. Generationen von Armen, dick wie Buchenäste, in grobe Kittel aus Leinen gesteckt, hatten die Tischplatte speckig poliert. Der Wirt brachte einen großen Krug Bier und der Fremde goss ihnen beiden ein.
„Was verschlägt den edlen Herrn hierher nach Reichelsheim?“
Kindischer Aberglaube, von ungebildeten Bauern in die Welt gesetzt, hatte ihn von Frau und Kind hinweg in diese gottverlassene Gegend getrieben. Das Siegel des Grafen von Erbach in seiner Tasche wies ihn als Hauptmann mit besonderen Befugnissen aus, doch er wollte seine Aufgabe hier nicht mit dem militärischen Gehabe eines Offiziers lösen. Also hatte er Muskete und Degen in der Kaserne gelassen und war nur mit seinem Dolch bewaffnet und ohne Eskorte nach Reichelsheim geritten.
„Geschichten um die Burg Rodenstein führen mich zu euch. Man hört manch wundersame Erzählung darüber.“
„Geschichten also … die Leute hier im Odenwald erzählen sich viele Geschichten.“
Der Bärtige lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. Ja, im Wald der Oden, in dem einst Siegfried den Drachen tötete, bevor ihn Hagen mit der Lanze durchbohrte, verbarg sich in jedem bemoosten Fels eine verwunschene Seele. Im Lautertal bewarfen sich dereinst gewaltige Riesen mit Granitblöcken und schichteten dabei ein ganzes Meer aus Felsen auf. Hexen galoppierten auf ihren Besen über die Tromm und die todesmutigen Bauern von Abtsteinach ketteten gar den leibhaftigen Teufel an einen Stein. In dem rauen Land mit den endlosen Wäldern hausten in jedem Baum dämonische Wesen und die Erzählungen darüber, wie sie den Leuten das karge Leben noch erschwerten, gediehen wie das Unkraut in den Gemüsegärten.
„Welche Geschichte wollt Ihr denn hören?“
Die tiefe Stimme des Bärtigen glitt plötzlich in einen lauernden Singsang über.
„Nun, mir kamen Meldungen über ein Geisterheer zu Ohren, das nachts lärmend und tosend über den Himmel zieht und von einem aus dem Geschlecht der Rodensteiner angeführt wird.“
Der Hauptmann hatte die Burg bereits bei Tage inspiziert und gesehen, dass die Mauern zu einem guten Teil abgetragen waren. Die Leute aus den Dörfern rundherum nutzten die Festung als Steinbruch und verbauten die wertvollen Granitsteine in ihren eigenen Häusern. Doch deswegen war er nicht gekommen.
„Ich jedoch halte die Geschichte vom Rodensteiner und seinen untoten Männern für Aberglauben, der erklären soll, wofür das schlichte Gemüt der Menschen keine Erklärung findet“, forderte er den Bärtigen heraus.
Der nahm einen tiefen Zug aus seinem Humpen und wischte sich mit dem Ärmel den Schaum von den Lippen.
„Vermutlich ist das so, doch wer weiß das schon?“, wiegte er bedächtig den Kopf.
„Was aber, wenn die Wahrheit nicht in den Büchern steht, die Ihr am Erbacher Hof lest, und die Vernunft nicht immer der Weisheit letzter Schluss ist?“
Der Hauptmann tunkte das Messer in den Topf, strich eine dicke Schicht Kochkäse auf das Brot, auf die er oben drauf gewürfelte, in Essig und Öl eingelegte Zwiebeln packte, und biss nachdenklich hinein.

Da wurde die Tür aufgestoßen und ein großgewachsener Mann, in einen weiten, schwarzen Umhang gehüllt, polterte in die Wirtsstube. Ein Schweif aus Schneeflocken wehte mit ihm herein, bevor er die Tür hinter sich zuschlug. Die breite Krempe des Dreispitz-Hutes warf einen Schatten auf sein Gesicht. Eine lederne Klappe bedeckte ein Auge, das andere funkelte eisig. Das zotige Geplapper der Bauern erstarb und ihre Gesichter erstarrten zu Stein. Der Einäugige schaute über die Schulter zum steinernen Sturz über der Tür. Dann musterte er die Runde. Sein diabolisches Grinsen schnitt sich in die Haut der Bauern, die auf ihren Stühlen hin und her rutschten. Schließlich ließ er von ihnen ab und setzte sich auf einen Hocker nahe dem Kaminfeuer. Leise, fast schon flüsternd, setzten die Bauern die Unterhaltungen wieder fort, immer ein Auge auf den Einäugigen gerichtet.
„Vielleicht fragt Ihr Hans von Rodenstein gleich selbst nach seiner Geschichte“, räusperte sich der Bärtige an seinem Tisch.
„Ihr wollt sagen, der Herr dort ist …?“
„Nein, der da ist weder ein Rodensteiner noch ist er ein Herr“, grinste der Bärtige.
„Er ist jedoch aus demselben Holz geschnitzt wie er - einer, den weder Gott noch der Teufel an ihrer Seite haben wollen.“
Der Bärtige wies mit einem flüchtigen Fingerzeig zur Tür hinüber.
„Dort, der Kopf im Türsturz, der mittig herausgemeißelt ist, das ist Hans von Rodenstein. Ihn hat der Einäugige gegrüßt, als er hereinkam. Der Stein stammt von der Burg des Ritters.“
Der Bärtige rückte seinen Stuhl näher an den Hauptmann heran.
„Glaubt es oder nicht, aber bis gestern blickte der Rodensteiner noch grimmig in die Wirtsstube. Doch seit dem Morgen grinst er vor sich hin.“
Der Fremde kniff die Augen zusammen und jetzt erkannte er es auch.
„Wie kann das sein?“
„Nun, es heißt, Napoleon schickt seine Armee über den Rhein. Der Rodensteiner da ...“ Wieder nickte er zu dem Türsturz hin. „Der Rodensteiner weiß vor allen anderen, wenn ein neuer Krieg ausbricht - und es scheint, dass die Zeit mal wieder so weit ist. Heute Nacht steigt der Ritter mit seinem Geisterheer aus der Erde und warnt die Menschen.“
Der Bärtige nickte. Der Hauptmann spülte das Brot mit einem Schluck Bier hinunter.
„Und Ihr glaubt tatsächlich dieses Märchen vom ewigen Fluch?“
Der Mann zuckte mit den Achseln.
„Wie kam es überhaupt dazu?“
Der Bärtige kreuzte die Arme vor der Brust. Er paffte ein paar Züge aus der Pfeife, dann begann er seine Erzählung.

veröffentlicht: 14.07. 2023, überarbeitet: 31.12. 2024

Bewertungen meiner Leser

5 Sterne von Mareike F.

Profilbild von Mareike F.Mareike F.

Die Geschichte ist so geschrieben, als wäre man direkt dabei. Ich mag die Sprache des Autors. Sie ist nicht flach und trotzdem leicht zu verstehen.

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